Mein Freistil
Fünf Fragen an Markus Becker
Was fällt Dir ein wenn Du improvisierst?
Markus Becker: „Oft ganz einfache Wendungen. Ein Intervall, ein Motiv oder ein Klang – alles kann zur Aufgabe werden. Herz, Hirn, Hand folgen. Nicht immer in dieser Reihenfolge allerdings – auch ein manuelles Bewegungsmuster kann sich verselbständigen. Manchmal entstehen dabei gerichtete Verläufe, die erzählerisch etwas verdichten oder auflösen. Es gibt aber auch einfach Zustände, in denen sich etwas ausbreitet und die Zuhörenden zur Teilhabe einlädt.“
Was bringst Du mit in dieses freie Spiel?
Markus Becker: „Mein gesamtes Vokabular als Musiker – von Bachs Kantaten bis zum Dixieland, von Steely Dan bis Stockhausen! Auf der einen Seite das Assoziationsvermögen, die Lust, mich selbst zu überraschen und all die Dinge zu erkennen, bei denen ich andocken kann. Auf der anderen Seite die Sozialisation des klassischen Interpreten: der Filter, der für eine Auswahl sorgt und unterwegs sofort Beziehungen, Formen, Spannungskurven herstellen möchte.“
Was passiert dabei im Idealfall?
Markus Becker: „Da äußere ich mich quasi ungeschützt, mache mich berührbar. Ich lasse mich fallen. Wenn diese Rückhaltlosigkeit vom Publikum erwidert wird, wenn die Energie zurückkommt, dann kann ein Raum entstehen, in dem ganz grundlegende, fast archetypische Erfahrungen verhandelt werden. Die Zuhörenden können aktive Teilhaber eines wechselseitigen Geschehens werden, das ohne die Musik vielleicht nie in Gang gekommen wäre.“
Was machen solche Erfahrungen mit Dir als Interpret komponierter Musik?
Markus Becker: „Sie schärfen das Bewusstsein dafür, dass das Bekannte immer neu erfahrbar gemacht werden muss. Der Kanon besteht ja nicht aus toter Materie: Alles was die Aufführung beeinflusst, jedes Quäntchen Adrenalin, verändert die Musik als solche. Es kommt also auf die physische Einstellung zum Spielen an. Jeder Millimeter entscheidet. Und natürlich gibt sich der Wert des lange Erlernten zu erkennen: Eine bewusste Entscheidung, auch eine ganz kleine, kann sehr viel auslösen.“
Wie müsste man Klavier spielen können?
Markus Becker: „Der Flügel, dieses voluminöse Möbelstück, gibt im Grunde den Maßstab vor. Für mich misst sich die Qualität von Klavierspiel an einer quasi räumlichen Vorstellung von Klang und Musizieren. Gutes Klavierspiel erleben wir nicht als ein von uns getrenntes Geschehen, als Objekt in der Distanz. Es lädt uns ein in einen interessanten Raum mit klarer Tiefenstaffelung. Wir dürfen einen Fantasie- und Lebensraum betreten, der Projektionen von außen aufnimmt – und stark gebündelte Suggestionen zurückschickt. Es geht da nicht um einen kleinen Ausschnitt unseres Bewusstseins, es geht um die Totale!“
Interview: Anselm Cybinski